moments Magazin 09-21

moments 9/2021 21 FOTOS: PETER KOKÖFER, VIENNALE, DA-KUK / E+ / GETTY IMAGES W ürden Sie Ihre Arbeit der Direktorin und allein verantwortli- chen Kuratorin als die einer „Autorin“ bezeichnen? Ich würde mich definitiv nicht so sehen, sehr wohl aber als „Erzählerin“ des Fes- tivals, weil ich thematischen Schwer- punkten oder außergewöhnlichen Fil- memachern, denen wir in einem Jahr besondere Aufmerksamkeit widmen, eine sinnvolle Umgebung geben will und muss. Ich sehe mich persönlich stets als Schnittstelle der Filmschaffen- den zum Publikum. Insbesondere bei einem Festival wie der VIENNALE. Es gibt bei uns keinenWettbewerb und wir sind und bleiben vorrangig ein Publi- kumsfestival – erst an zweiter Stelle sind wir ein Festival für Branchen- und Pressevertreter. Das hat übrigens auch weltweit in dieser Größenordnung und Qualität Seltenheitswert! Gehen Sie jemals „gefühlte“ kom- merzielle Kompromisse ein? Der gute Ruf der „Marke“ VIENNALE und die Bereitschaft des Publikums, marginale Filme neben Arthouse- „Blockbustern“, die bei uns ihre Öster- reich-Premiere feiern, gleichberechtigt anzunehmen, machen immer schon den Charme dieses Festivals aus. Diese Eigenschaft war für mich schon seit vie- len Jahren der Grund, warum ich jedes Jahr als Besucherin nach Wien kam. Eine Ihrer ersten nach außen hin sichtbaren Entscheidungen war die Auflösung der Unterscheidung zwi- schen Spielfilmen und Dokumenta- tionen im VIENNALE-Programm. (lacht) … und ich bin froh, dass es mitt- lerweile, außerhalb unseres Gesprächs, so gut wie kein Thema mehr ist und sich auch die Vertreter*innen des sogenann- ten Dokumentarfilms gut im Autor*innenfilm aufgehoben fühlen. Für mich war dieser Schritt auch aufgrund der beschriebenen Eigenschaften und -arten der VIENNALE folgerichtig. Dar- über hinaus bemerken wir weltweit seit vielen Jahren, dass sich diese Grenzen mehr und mehr verflüchtigen. Was war die Initialzündung für Ihr Interesse am Kino? Ich bin ein Kind des Fernsehens. Nachdem ich in einem kleinen italie- nischen Dorf aufgewachsen bin, blieb mir fast keine andere Wahl. Ich halte TV und Videokassetten übrigens für eine unterschätzte, wenn vielleicht nicht ideale Heranführung an das Kino. Ich spreche hier natürlich auch als Kind meiner Generation, aber anders hätte ich wohl nie meinen ers- ten Kontakt z. B. mit der Arbeit eines Jean-Luc Godard gehabt. Was bedeuten Streaming-Plattfor- men für das Kino? Das Thema ist komplex und es gilt, vie- le Aspekte zu berücksichtigen. Die Bedeutung von Konsum und wie wir konsumieren verändert sich gerade radi- kal: Dass ein Film, einmal ange- klickt, als „gesehen“ gilt, steht für unser Verhalten und irritiert mich nicht weiter. Gleichzeitig müssen selbst ausgesprochene Traditionalisten wie Quentin Tarantino zur Kenntnis neh- men, dass ihr Schaffen von den Major Studios so gut wie nicht mehr finanziert wird. Hier fällt den Streaming-Riesen wie Net- flix, Amazon und Co eine zen- trale Rolle zu. Wir sind auf diese Filme am Festivalmarkt angewiesen und das Publikum will solche Arbeiten, zumin- dest im Rahmen von Festivals, sehr wohl unter idealen Rahmenbedingungen, sprich: in einem Kinosaal, erleben. Ein weiterer potenziell gefährlicher Aspekt, der aber keineswegs nur das Kino betrifft, ist jener, dass diese Plattformen keine für das Publikum erkennbare Trennung von rein kommerzieller Unterhaltung und Content mit künstlerischem Anspruch vornehmen. Wir haben gelernt zu akzep- tieren, dass es nicht ausreicht, ein Edito- rial eines Lifestyle-Magazins zu lesen, um als Trendsetter wahrgenommen zu wer- den. Ebenso wenig werden Algorithmen uns Kuratoren den Rang ablaufen – dies- bezüglich bin ich sehr entspannt. ˜ „Ich sehe mich persönlich stets als Schnittstelle der Filmschaffenden zum Publikum.“ EVA SANGIORGI Direktorin und Kuratorin der VIENNALE Unbedingt zum Leben brau- che ich ... Wasser und Luft, andere Menschen und meine zwei Katzen. Mein perfekter Tag beginnt ... mit Kaffee und bei eingeschal- tetem Radio. Meine besondere Eigenschaft ist ... dass ich stets lächle, selbst wenn ich vielleicht gera- de unglücklich bin. „My little secret“ ... dass ich im Kino ziemlich oft weine, unabhängig davon, wo ich einen Film sehe – also auch auf Festivals, die ich beruflich besuche. Wordrap Die Viennale 2021 würdigt mit dem Sujet eines Ausschnitts seines Schaubild „Nature in Descending Regions“ den Künstler Levi Walter Yaggy. „Wäre die VIENNALE kein inter- nationales Festival, wäre meine Bestellung zur Direktorin geradezu absurd – spreche ich doch noch nicht mal fließend Deutsch.“ (Wir führen das Gespräch auf Englisch)

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