moments Magazin 8-22

82 moments 8/2022 Health Beziehung nach Bedarf. „Der Wunsch nach Distanz heißt nicht automatisch, dass eine Beziehung schlecht läuft“, weiß Wiebke Neberich, Psychologin und Expertin für LAT-Beziehungen. „Manche Menschen brauchen viel Raum. Für sich selbst, Hobbys, den Job.“ In etlichen Gesprächen gehen Thomas und Melanie ihren Bedürfnissen auf den Grund. Heute ist der 41-Jährige überzeugt: Glückliche Beziehung geht auch ohne gemeinsameWohnung. Die Zeit, die er mit Melanie verbringt, beschreibt er als besonders intensiv, die Verbindung trotz bzw. vielleicht auch aufgrund fehlender Selbstverständlichkeit als umso bewusster. Die gesteigerte Aufmerksamkeit, die getrennt lebende Partner einander schenken, wenn sie sich besuchen, ist der am häufigsten genannte Grund fürs Nicht-Zusammenziehen. Einen gemeinsamenAlltag haben Thomas und Melanie nicht. Treffen vereinbart das Paar ohne festen Rhythmus. Ist das für Thomas heute genug? „Für mich hat Beziehung immer zusammen wohnen geheißen“, sagt Thomas. Heute weiß er: Dahinter steckte nicht nur der Wunsch nach Alltag, sondern auch nach Sicherheit. „Ich kann es mir eigentlich gar nicht mehr anders vorstellen“, sagt er. „Manchmal macht es mir aber schon noch Angst, dass sie jederzeit einfach gehen könnte.“ Mehr Freiheit, mehr Trennungen. LAT-Paare haben in der Tat höhere Trennungsraten. Da die Partner ökonomisch voneinander unabhängig sind, existieren weder finanzielle noch wirtschaftliche Druckmittel fürs ZuFOTOS: HENRIK SORENSEN/DIGITALVISION/GETTY IMAGES, PHOTOALTO/ALE VENTURA/BRAND X PICTURES/GETTY IMAGES Bewusste Me-, bewusste We-Time: LAT-Paare suchen sich ihre Freiräume bewusst. sammenbleiben. Im Fall einer Krise ist die Entscheidung leichter getroffen – immerhin entfällt sowohl die mühselige Gütertrennung als auch die lästige Wohnungssuche. Vor allem berufstätige Frauen, Menschen über 40 und jene, die bereits eine gescheiterte konventionelle Beziehung hinter sich haben, können demLAT-Modell deswegen einiges abgewinnen. Zeitgeist Beziehung light. Sind getrennt Lebende womöglich einfach zu bindungsunwillig, egoistisch, und kompromisslos, um zusammenzuziehen? Angefangen von Mobiliar und Deko über den Haushalt bis hin zu unterschiedlichen Schlafrhythmen gibt es gehörig Kompromiss- und Konfliktpotenzial. Klar, wer nicht zusammenwohnt, muss sich damit nicht herumschlagen. Antony Giddens, britischer Soziologe von Weltruf, sieht LAT als Ausdruck des Zeitgeistes. Er spricht bei heute weit verbreiteten Beziehungsmodellen von „pure relationships“. Was Giddens damit meint: Beziehungen, die nur so lange halten, wie beide Partner damit zufrieden sind – nicht aus Tradition oder Verpflichtung. Dies macht Zusammenleben und serielle Monogamie eher wahrscheinlicher als die langfristige Bindung einer Ehe. Nicht mehr als reine Rosinenpickerei ohne Substanz, meinen Skeptiker. Mehr als eine Zwischenstation. Eine Annahme, die LAT-Paare regelmäßig auf die Palme bringt. „Das ist keine Zwischenstation. Wir haben uns als Paar Gedanken darüber gemacht, was wir wirklich brauchen und wollen und uns dann darüber verständigt“, betont Sabine (56). Das Ergebnis dieser Überlegungen steht seit 14 Jahren auf festem Beziehungsfundament: Ihr Partner Wolfgang (54) wohnt im vierten Wiener Gemeindebezirk, Sabine im neunten. „Manchmal ist es schon so, dass ich abends eigentlich zu mir nach Hause will, aber dann doch auch aus Bequemlichkeit die Nacht bei Susanne verbringe“, sagt Wolfgang. „Das ist schön. Aber ich freue mich auch, wenn ich amnächsten Tag in die Ruhe und Intimität meiner eigenen vier Wände zurückkehre.“ Sein Tipp: „Wer sich getrenntes Wohnen nicht vorstellen kann, kann es ja einmal mit getrennten Schlafzimmern versuchen.“ v ER EULE, SIE LERCHE? In getrennten Haushalten können beide Partner ihren individuellen Schlafrhythmus beibehalten.

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