moments Magazin 1-23

18 moments 1/2023 Coverstory FOTOS: GRINVALDS / ISTOCK /GETTY IMAGES PLUS FOTOS: SPB2015 /ARCHAYASIT / ISTOCK /GETTY IMAGES PLUS * NAME AUF WUNSCH VON DER REDAKTION GEÄNDERT rgendwann hat Manuela* nichts anderes mehr gemacht als Selfies: Rund sechs Stunden pro Tag verbrachte die Mitte-20-Jährige damit, Fotos von sich zu schießen, zu sichten und Makel zu finden, wo eigentlich gar keine waren. Hat das Gesicht gepasst, gab es plötzlich ein störendes Muttermal am Hals, eine zu kleine Brust oder Probleme mit dem Po. Am Zenit ihrer Erkrankung machte sie täglich bis zu 200 Selfies, mied das soziale Leben und traf sogar Dating-Partner nur mehr virtuell. Filter statt Realität. Manuelas Geschichte ist schon längst kein Einzelfall mehr. Das Phänomen „SelfieDysmorphie“ betrifft immer mehr junge Frauen aus der Generation Z, also der Altersgruppe, die zwischen 1997 und 2012 zur Welt gekommen ist. Prinzipiell ist der Begriff leicht erklärt: Menschen wollen auch in der Realität so aussehen wie auf ihren mit Filter bearbeiteten Selfies. Dafür werden weder Kosten noch Mühen gescheut – der Aufwand erstreckt sich von minimalinvasiven Eingriffen bis zu aufwendigen Schönheitsoperationen. Laut der AAFPRS, der Amerikanischen Akademie für Plastische und Rekonstruktive Gesichtschirurgie, haben bereits im Jahr 2017 55 Prozent der plastischen Chirurgen bestätigt, schon einmal Patienten gehabt zu haben, die Eingriffe durchführen lassen wollten, um besser auf ihren Selfies und Fotos auszusehen. „Früher wollten Frauen so aussehen wie ihre Schönheitsideale, etwa wie Heidi Klum oder Jennifer Lopez. Heute wünschen sie sich eine Veränderung, die teilweise nichts mehr mit der Realität zu tun hat“, erklärt Simone May, Allgemeinmedizinerin mit Schwerpunkt auf ästhetischer Medizin und Mitbegründerin von MARA. Ernste Diagnose. Wobei man mit dem Begriff „Selfie-Dysmorphie“ vorsichtig umgehen muss, denn hierbei handelt es sich um eine ernst zu nehmende Erkrankung, die zu den Körperwahrnehmungsstörungen zählt und eine psychische Diagnose und Behandlung erfordert. Betroffene sind quasi süchtig nach Perfektion und beschäftigen sich ständig mit ihrem eigenen Aussehen und suchen nach etwaigen Fehlern. „Das Problem ist, dass Betroffene zum plastischen Chirurgen gehen, statt sich die Hilfe zu suchen, die wirklich nötig wäre. Aber eine OP macht es nur noch schlimmer und sorgt für eine Fixierung auf das Thema. So entsteht ein gefährlicher Kreislauf“, meint der Grazer Psychiater Martin Ecker. Instagram Faces. Die Geschichte der Filter beginnt im Jahre 2013, als Facetune auf den Markt kommt. Die App erlaubt Nutzern, ihre Selfies nach eigenen Wünschen zu bearbeiten und zu retuschieren. Facetune landet in Windeseile auf Platz eins ZU DICK, ZU DÜNN. Körperdysmorphe Störungen sorgen dafür, dass der eigene Körper anders betrachtet wird, als er eigentlich ist. der App-Charts. 2015 launcht dann die Hype-App Snapchat die ersten AR-Face-Filter. Kurze Erklärung: AR steht für Augmented Reality. User können sich in Hunde, Katzen und Einhörner auf Regenbögen verwandeln, besonders beliebt sind aber auch sogenannte Beauty-Filter, die für größere Augen, schmalere Gesichter, schönere Haut und vollere Lippen sorgen. Natürlich springt auch Instagram auf den Trend auf. Influencer, Stars wie Ariana Grande, die Kardashians oder die HadidSchwestern zeigen sich fortan in ihren Storys und auf ihren Profilen mit gefilterten Gesichtern – die Geburtsstunde der sogenannten „Instagram Faces“. Was diese ausmacht? Ein makelloses, quasi perfektes Aussehen. Dafür ist übrigens auch die russischstämmige Grafikdesignerin Sasha Soul verantwortlich. Ihre Kreationen für die App gelten als „Gold Standard“, zahlreiche der beliebtesten Instagram-Filter, beispielsweise „Shiny Foxy“ oder „Glam baby“, stammen von ihr. „Ich mag mich nicht“. Laut der Plattform Saferinternet.at, die mit ihrer Initiative „Jugend-Internet-­ Monitor“ Daten zur Social-MediaNutzung von Jugendlichen in Österreich im Jahre 2022 erhoben hat, nutzen knapp 81 Prozent der 11- bis 17-Jährigen Instagram, rund 70 Prozent haben Snapchat. Der Einfluss der sozialen Netzwerke auf junge Menschen ist massiv. „Vor allem Mädchen und junge Frauen leiden enorm unter den Schönheitsidealen, die durch Social Media entstehen“, so Ecker. Und Medizinerin Simone May fügt hinzu: „In meiner täglichen Erfahrung zeigt sich, dass immer mehr Patientinnen ganzheitlich mit sich und ihrem äußeren Erscheinungsbild unzufrieden sind. Aus ästhetischer Sicht ist dabei in vielen Fällen allerdings kein Handlungsbedarf erkennbar. Dieser Wunsch nach totaler Veränderung ist äußerst bedenklich.“ Kritische Stimmen. Kritisiert wird auch die fehlende Individualität ä VERZERRTE REALITÄT. Instagram und Co. setzen unerreichbare Schönheitsideale. DER WEG RAUS. Je früher man eine dysmorphe Störung erkennt und sich professionelle Hilfe sucht, desto besser stehen die Heilungschancen. I moments 1/2023 19 F RAG E N A N D I E Experten DIE SITUATION IN DEN USA Sie zählen zu den renommiertesten plastischen Chirurgen in den USA: Wie ist dort die Lage betreffend Körperdysmorpher Störungen? Körperdysmorphe Störungen sind in den USA weit verbreitet und nehmen immer mehr zu. Schätzungen zufolge leiden 13 bis 15 Prozent der Patienten, die sich einer Schönheits-OP unterziehen, unter dieser Krankheit. Bei Nasenkorrekturen sind es sogar bis zu 30 Prozent. Patienten beschäftigen sich drei bis acht Stunden pro Tag mit vermeintlich makelhaften Körperstellen. Wieso bevorzugen so viele Menschen einen Filter anstelle der Realität? Wir gehen davon aus, dass es damit zu tun hat, dass Filter die Möglichkeit geben, „Fehler“ zu löschen und das Gesicht zu idealisieren. Eine von uns im Jahre 2021 veröffentlichte Studie zeigt, dass die meisten jungen Menschen ihr Selfie mit einem Filter gegenüber einem Selfie ohne Filter oder ein Foto, das aus einer Entfernung von mindestens 1,5 Metern aufgenommen wurde, bevorzugen. Steve Dayan Plastischer Chirurg Sabrina Fabi Dermatologin

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