moments Magazin 10-21

FOTOS: PRIVAT, ROMRODINKA/ISTOCK/GETTY IMAGES PLUS sich ab der späten Kindheit. Das kann an der sozialen, kulturellen und/oder neuronalen Entwicklung liegen. Häufig lernen wir im Rahmen unserer Erzie­ hung, Tränen zu unterdrücken. Sätze wie ‚Jetzt musst du wirklich nicht wei­ nen‘ oder ‚Reiß dich zusammen, das tut doch gar nicht weh‘, hören meiner Erfahrung nach Buben häufiger als Mädchen. Das prägt natürlich den emo­ tionalen Ausdruck. Und ich glaube, dass der gesellschaftliche Druck auf Buben steigt, wenn sie älter werden“, führt die Psychologin aus. Einige Studien legen auch einen hormonellen Zusammen­ hang nahe. So könnte das Testosteron bei Männern dafür sorgen, dass die Hemmschwelle zumWeinen größer ist. Katharsis. Weinen hat also nichts mit Schwäche zu tun. Es ist sogar ein Zei­ chen von Stärke. Es bedeutet, dass man sich mit seinen Emotionen auseinander­ setzt und diese auch zeigt. Von vielen wird Weinen außerdem als befreiend und eine Art Katharsis, quasi als Seelen­ hygiene, empfunden. Eine wohltuende Wirkung kann zwar wissenschaftlich nicht festgestellt werden, dennoch wirkt es für viele befreiend und tut einfach ab und zu gut. „Ich stelle in meiner Arbeit oft fest, dass Weinen subjektiv von den meisten Menschen als befreiend erlebt wird. Manche beschreiben es als heilsam zu weinen. Anspannung und Stress wür­ den sich lösen und die Verarbeitung beginnen. Tränen drücken Gefühle wie Wut, Trauer, Schmerz und Freude aus“, meint Maier. Wer Tränen permanent unterdrückt und zurückhält, tut damit auch seinem Stresslevel nichts Gutes und begünstigt Bluthochdruck, Herz­ erkrankungen und Magenprobleme. Sozialer Klebstoff. Vor allem aber dient Weinen als natürliches Kommuni­ kationsmittel. „Tränen drücken von klein auf den Wunsch nach Unterstützung und Trost aus. Sie können Nähe und Verbundenheit schaffen und prosoziales Verhalten in unserem Gegenüber anre­ gen“, so die Expertin. Vor einem ande­ ren Menschen zu weinen, erzeugt eine neue Form der Nähe. Dadurch lässt man ihn hinter die Fassade blicken und legt den Drang, perfekt sein zu müssen, ein wenig ab. So sollten wir unseren Kin­ dern vielleicht öfter mal „Lass es einfach raus“ raten, anstatt „Reiß dich zusam­ men“ zu predigen. l mal M O M E N T Julia Maier Klinische Psycholo­ gin und Gesundheits­ psychologin Was sind die häufigsten Grün- de, warum wir weinen? Menschen weinen aus vielen Grün­ den. Bei Trauer und Verlust, bei Konflikten im Miteinander, bei Niederlagen, bei Schmerzen, aus Frustration ... und manchmal auch aus überwältigender Freude. Emo­ tionale Tränen fließen als Reaktion auf unsere Gefühle. Hilft Weinen dabei, Emotiona- les leichter zu verarbeiten? Gelingt es uns, durch das Weinen Gefühle auszudrücken, mit diesen umzugehen und Unterstützung zu erhalten, die wir brauchen, dann ja. Kann es auch zu Depressionen führen, wenn man zu viel weint? Häufiges Weinen kann neben anderen Symptomen während einer Depression auftreten. Sich gelegentlich auszuweinen ist ganz normal und kann hilfreich sein. Wenn sich diese Situationen aber ungewöhnlich häufen und die Trä­ nen oft grundlos fließen, ist es rat­ sam, sich psychologische Hilfe zu holen. Eben weil es auch ein Anzei­ chen einer Depression sein kann. Häufiges Weinen alleine führt aber nicht zu einer Depression. Ist Weinen ähnlich ansteckend wie Gähnen? Nein, Weinen ist nicht ansteckend. Unsere Spiegelneuronen können aber aktiv werden. Wenn wir uns beispielsweise einer anderen Per­ son sehr nahe und verbunden füh­ len und mit ihr mitfühlen, wenn diese weint, kann es natürlich auch bei uns selbst in der emotionalen Reaktion zu Tränen führen. Babys signalisieren durch Weinen, dass sie die Unterstützung ihrer Eltern benötigen. 82 moments 10/2021 LIFE & MORE

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