moments Magazin 10-21

LIFE & MORE moments 10/2021 95 Durchschnittlich brauchen Frauen bis zu sieben Versuche, um sich aus gewalt- tätigen Beziehungen zu befreien. Doch viele haben keine sieben – sie überleben vielleicht nicht einmal den ersten, zwei- ten oder dritten Versuch. Häusliche Gewalt ist ein Thema, das gerne und oft unter den Teppich gekehrt wird, schließ- lich handelt es sich um private Angele- genheiten, die hinter verschlossenen Türen stattfinden. Und genau das ist das Problem: Was nicht gesehen wird, wird meist ignoriert. Und die Hilferufe der Opfer werden erst dann gehört, wenn sie bereits verstummt sind. Was ist ein Femizid? Hierzulan- de wurden seit Jahresbeginn bereits 26 Femizide verübt. Kurz zur Erklä- rung: Als Femizid bezeichnet man den Mord an Frauen und Mädchen auf- grund ihres Geschlechts. Heißt: Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. Österreich erlangt damit übrigens einen traurigen Rekord: Im europaweiten Ver- gleich stehen wir derzeit an der Spitze. Fast wöchentlich wird von einemMord oder versuchten Mord an einer Frau berichtet. Fast immer stand der Täter dem Opfer nahe, war sogar ihr Partner oder Ex-Partner. Frage nach demWarum. Was ist also los in Österreich? Wieso häufen sich Femizide, Übergriffe und Gewalt- taten an Frauen? Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser sowie Frauenrechtlerin, sieht das Problem in der Justiz: „Sie geht zu nachlässig mit gefährlichen Tätern um. In Österreich haben wir eine hohe Anzeigenrate, was häusliche Gewalt betrifft, acht von zehn Anzeigen werden eingestellt.“ Und dann beginnt die gefährlichste Zeit für Frau- en. Die Täter sind auf freiem Fuß und merken, dass die Frauen sich zu wehren beginnen. Viele Taten passieren dann genau in diesem Zeitraum. „Auffällige und gewalttätige Täter sollten in U-Haft genommen und bezüglich ihrer Gefähr- lichkeit eingeschätzt werden. Es braucht bessere Beweisermittlungen. Alles andere ist für die Frauen nur ein Schlag ins Gesicht“, so Rösslhumer. Hohe Dunkelziffer. Wie viele Frau- en tagtäglich mit Gewalt konfrontiert sind, ist nicht bekannt. Laut einer Erhe- bung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zu geschlechts- spezifischer Gewalt gegen Frauen ist jede fünfte Frau, also 20 Prozent, ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/ oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Jede siebte Frau ist ab dem 15. Lebensjahr von Stalking betroffen. Das sind erschre- ckende Zahlen. Während viele jedoch Gewalt nur mit physischen Misshand- lungen assoziieren, beginnt sie schon weit früher – und zwar mit psychi- schen. „Es beginnt vor der körperlichen Gewalt. Der Partner kann beispielswei- se kein ‚Nein‘ akzeptieren, wird schnell zornig, ist kontrollierend oder krankhaft eifersüchtig“, erklärt die Expertin. Pro- FOTOS: MIXMIKE/E+/GETTY IMAGES, VERLAG, CANADIAN WOMEN‘S FOUNDATION D Laura Backes, Margherita Bettoni „Alle drei Tage“ DVA 20,60 Euro Frauenmorde sind Morde, über die niemand spricht. Die „Spiegel“-Journalistinnen schon. Buchtipp blematisch wird es auch, wenn der Part- ner plötzlich über Familienmitglieder oder enge Freunde schimpft, Kontakte verbietet und systematisch beginnt, die Partnerin zu isolieren. „Er versucht, sie aus der Gesellschaft auszuschließen und somit ihre einzige Bezugsperson zu werden“, sagt Rösslhumer. Hilfe holen. Wann sollten sich Frau- en also Hilfe holen? „Sobald sie das Gefühl haben, dass der Partner nicht mehr guttut, sie einschließt oder verbal misshandelt. Gewalt beginnt vor Schlä- gen“, rät die Frauenrechtlerin. Eine ers- te Anlaufstelle können die Polizei, die österreichische Frauenhelpline, Frauen- häuser oder Online-Beratungen sein. Kontaktinformationen haben wir in einem Infokasten auf Seite 97 zusam- mengefasst. In der Steiermark gibt es eine Vielzahl an Einrichtungen, die ä 1. So funktioniert es: Handfläche ausstrecken und Daumen anwinkeln. DIESES HANDZEICHEN, BEKANNT VON „TIKTOK“ IST EIN HINWEIS AUF GEWALT. 2. Danach die Hand zu einer Faust ballen.

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