moments Magazin 02-24

18 moments 2/2024 moments 2/2024 19 Coverstory FOTOS: PRIVAT, MARHARYTA MARKO/BRO VECTOR/ISTOCK/GETTY IMAGES PLUS Das menschliche Gehirn: eine etwa 1,5 Kilogramm schwere Masse, die wie ein großer Computer tagtäglich für uns arbeitet. Ununterbrochen werden unzählige Sinneseindrücke und Informationen verarbeitet, währenddessen lebensnotwendige Körperfunktionen automatisch gesteuert werden. Doch es kann noch viel mehr als das: Das faszinierende Organ ermöglicht es uns Menschen, zu denken und zu fühlen – es ist das Zentrum des emotionalen Erlebens. Zusammenhang. Die typischen Geschlechter-Klischees sind auch im 21. Jahrhundert noch weit verbreitet und es fällt uns Menschen schwer, uns davon zu lösen. Denn Denkweisen wie „Männer handeln zielorientierter und parken besser ein“ oder „Frauen sind empathischer und können besser über ihre Gefühle reden“ sind tief in unserer Gesellschaft verankert. Die Frage lautet: Ist da wirklich etwas dran? Im Zuge dessen suchen Experten schon seit Jahren nach geschlechtsspezifischen Eigenheiten in der Struktur und Funktion unseres Gehirns – die Ergebnisse sind nicht eindeutig. Die physischen Unterschiede. Im Durchschnitt ist das männliche Gehirn etwa 10 bis 15 Prozent größer als das weibliche. „Ebenso konnten Studien Unterschiede hinsichtlich der Dicke der Hirnrinde beziehungsweise der grauen Substanz und der Nervenvernetzungen in bestimmten Hirnregionen nachweisen“, erklärt Tamara Gattringer, Fachärztin für Neurologie in Graz. Eine Studie aus dem Jahr 2020 zeigte auch, dass Männer mehr Volumen in den hinteren und seitlichen Arealen des Kortex besitzen, die dafür verantwortlich sind, Objekte sowie Gesichter zu erkennen. Hormone. Ein weiterer Unterschied sind die weiblichen und männlichen Sexualhormone. „Diese dürften eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Gehirns spielen“, betont Gattringer. Und nicht nur das: Sie scheinen auch Auswirkungen auf die Hirnfunktion zu haben. In diesem Zusammenhang erläutert die Expertin: „Das weibliche Sexualhormon Östrogen beeinflusst schon vor der Geburt die Gehirnentwicklung. Bestimmte Regionen weisen auch eine unterschiedliche Dichte an Östrogenrezeptoren auf.“ Hierbei ist allerdings wichtig zu erwähnen, dass das männliche Sexualhormon Testosteron ebenso in Östrogen umgewandelt werden kann – dennoch ist das Gehirn von Frauen mehr Östrogen ausgesetzt als jenes der Männer. „Dadurch werden verschiedene Hirnregionen bei Mädchen und Jungen ungleich geformt sowie unterschiedlich miteinander vernetzt“, so Gattringer. Grundsätzlich beeinflussen Östrogene nicht nur unser Verhalten und unsere Stimmung, sondern auch kognitive Funktionen wie Lernen oder Aufmerksamkeit. Frauen erkranken häufiger. Es gibt einige neurologische Erkrankungen, die das weibliche Geschlecht viel öfter treffen als das Männliche. „Zum Beispiel tritt die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose zwei- bis dreimal häufiger bei Frauen als bei Männern auf“, erklärt die Neurologin. Warum das so ist, konnte bisher noch nicht geklärt werden. Experten nennen Umwelteinflüsse, wie eine niedrige Sonnenexposition und einen ungesunden Lebensstil, wie Rauchen und Übergewicht, als mögliche Risikofaktoren. Zudem erwähnt Gattringer: „Es leiden auch deutlich mehr Frauen an Migräne-Kopfschmerzen. Der Einfluss der weiblichen Sexualhormone scheint auch hierbei eine zentrale Rolle zu spielen, denn die Symptome verbessern sich häufig in den ersten Phasen des Wechsels und verringern sich nach dem Wechsel deutlich.“ Darüber hinaus erläutert die Expertin: „Frauen haben in allen Altersgruppen ein geringeres Schlaganfall-Risiko, da sie durchschnittlich weniger Risikofaktoren ausgesetzt sind als Männer – die weiblichen Geschlechtshormone dürften auch hier dazu beitragen.“ Aber nicht nur bei neurologischen Erkrankungen wird der Einfluss von Östrogen & Co. wieder einmal deutlich erkennbar, sondern auch bei Gefäßerkrankungen sollen die Sexualhormone sogar einen positiven Effekt haben. Trotz allem konnten tatsächliche Ursachen für die Unterschiede bei den Erkrankungen bis heute nicht konkret festgesellt werden. Dennoch sind die meisten neurologischen Probleme mittlerweile gut behandelbar und mit Hilde der richtigen Expertise kann bei den meisten Patientinnen eine gute Lebensqualität erreicht werden. EINFLUSS. Man kann nicht einfach so zwischen „männlichem“ und „weiblichem“ Gehirn unterscheiden. Denn neben genetischen Faktoren haben auch Umwelteinflüsse, Erfahrungen sowie gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten einen wesentlichen Einfluss auf die Hirnentwicklung. l Dr. Tamara Gattringer Fachärztin für Neurologie neuro-gattringer.at E X P E R T E N Tipp ä

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