moments Magazin 07-21

W ie sieht es denn in Öster- reich mit den Kinder- rechten aus? Da gibt es in vielen Bereichen viel Ver- besserungsbedarf. Es gibt auch einige Bereiche, wo man auf einem ganz guten Weg ist, was jahrelang gedauert hat. Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt? Das war schon sehr herausfordernd. Es lag und liegt der Fokus eindeutig auf Virusbekämpfung, was sicher eine Berechtigung hat, aber das Thema Kin- der ist überhaupt nicht vorgekommen. Kinder waren entweder die Supersprea- der oder die Partyfeierer, die sich nicht an die Maßnahmen halten. Was für mas- sive Auswirkungen die Maßnahmen auf die Jungen haben, wurde ignoriert. Bei Kindern und Jugendlichen, die zu Hause belastet sind, hat sich das Ganze noch einmal verschärft, das ist wie ein Brenn- glas. Zum Beispiel eine Familie: Die Eltern lebten in Trennung, die Streitig- keiten waren riesengroß, eigentlich war schon die Trennung besiegelt. Jetzt konn- ten die aber nicht ausziehen! Das Kind ist gar nicht mehr aus dem Zimmer rausge- kommen und hat den Streit täglich mit- erlebt. Um nur ein Beispiel zu nennen. Sind die Rechte der Kinder und Jugendlichen in der Coronakrise zu kurz gekommen? Ja, auf jeden Fall. Und zwar für alle Altersgruppen, ob das jetzt die kleinen Kinder waren, die im Kindergarten nicht eingewöhnt werden konnten, weil die Eltern sie nicht begleiten durften. Oder die Größeren, bei denen in der Pubertät das Wegbewegen von zu Hau- se und der Austausch mit der Peergroup so zentral ist, das war auch nicht mög- lich. Für die Entwicklung notwendige Schritte waren für alle Altersgruppen in irgendeiner Form unterbunden. Das Recht auf Gesundheit – die psychische Gesundheit! – das hat man hier einfach überhaupt nicht im Blick gehabt. Erst als die Kinder- und Jugendpsychiatrien Alarm geschlagen haben, dass da jetzt diese Triage stattfindet, vor der alle immer gewarnt haben in Hinblick auf die Intensivstationen, erst da ist das Thema dann ein bisschen in den Blick gekommen. Wird auch ein Anstieg bei häusli- cher Gewalt befürchtet? Es sind jetzt bei der Kinder- und Jugend- hilfe 30% mehr Gefährdungsmeldungen eingegangen im Vergleich zum Vorjahr. Wir haben 2019 eine Umfrage gemacht im Land Salzburg, da waren die Zahlen schon alarmierend genug, wie viele Menschen die tägliche Watschen und den Klaps auf den Po als völlig norma- les und geeignetes Erziehungsmittel sehen. Die meisten Eltern haben als Grund Überforderung angegeben. Wann rutscht einem die Hand aus? In überfordernden Stresssituationen. Und dass der Stress für die Eltern in Famili- en durch Homeoffice und Homeschoo- ling gestiegen ist, das ist ja evident. Insofern ist es eine naheliegende Schlussfolgerung, dass die Gewalt, nämlich auch die psychische Gewalt an Kindern zugenommen hat. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Schulen geöffnet sind , damit diese geschützten Räume nicht verloren gehen, sondern die Kinder und Jugendlichen einen Raum haben, um über das Erlebte zu reden und Ansprechpersonen zu haben, an die sie sich wenden können. Wenn sie zu Hause eingesperrt sind, haben sie das einfach nicht. Was wir auch in der täglichen Arbeit sehen, sind Jugendli- che, die wirklich mit Depressionen kämpfen, und kleine Kinder, die mit Angststörungen reagieren aufgrund dieser Belastungen und aufgrund dieser nicht adäquaten Einengungen und dem Verlust ihrer normalen Kinderwelt. Was könnte man verbessern? Man muss jetzt einfach massiv investie- ren, nicht nur in Wirtschaft und Tou- rismus – alles berechtigte Dinge. Man muss aber wirklich auch investieren in den Ausbau von Kinderschutzzentren, in unbürokratischen Zugang zu kosten- losen Therapien von Kindern und Jugendlichen, in mobile Beratung, weil die Kinder- und Jugendpsychiatrie auch nicht immer der richtige Ort ist. Und es bedarf eines massiven Ausbaus von Schul- psychologen. Da hat Österreich einen enormen Aufholbe- darf, was diese psychosozia- len Fachkräfte angeht. Andrea Holz-Dahrenstädt Leiterin der Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg INTERVIEW COVERSTORY F Ü R D E I N E R E C H T E ! FOTOS: MSDFUTURE/DIGITALVISION VECTORS/GETTY IMAGES, KIJA SALZBURG moments 7/2021 25

RkJQdWJsaXNoZXIy NzkxMTU1