moments Magazin 1-23

moments 2/2023 23 FOTO: ILONA TITOVA/ ISTOCK /GETTY IMAGES PLUS 22 moments 2/2023 FOTOS: CAROLIN ANNE, SDI PRODUCTIONS / E+ /GETTY IMAGES Coverstory Coverstory Warum suchen Menschen Hilfe bei einem Psychiater? Die Frage sollte sein, warum wird es als außergewöhnlich angesehen, zum Psychiater zu gehen? Psychiater sind Mediziner, es stellt niemand in Frage, wenn man bei Knieproblemen zum Orthopäden geht oder sich den Blutdruck vom Internisten einstellen lässt. Genauso wenig sollte hinterfragt werden, wenn man bei psychischen Beschwerden, Schlafstörungen, anhaltenden Lebenskrisen oder Einschränkungen der Lebensqualität zum Psychiater geht. Ich als Psychiaterin diagnostiziere, ob eine Erkrankung vorliegt und zeige auf, wie der weiterführende therapeutische Weg aussehen kann. Dies beinhaltet neben einer möglichen medikamentösen Therapie auch Psychotherapie. Was zählt heutzutage zu einer guten Lebensqualität? Um mit den Worten der WHO zu antworten: Lebensqualität ist die Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur, zu denWertesystemen, in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen. Aber die Auffassung von Lebensqualität ist sehr unterschiedlich und individuell. In der Praxis versuche ich herauszuarbeiten, wiedas Lebenmeiner Patienten aussieht, welche tragenden Säulen ihr Leben stützt – das können Beruf, Familie, Freunde und Freizeitaktivitäten sein –, welche Ressourcen vorhanden sind und was ihnen grundsätzlich Freude bereitet. Was würden Sie sich wünschen, dass jedemKindmitgegeben wird? Ich wünsche jedemKind bedingungslose Liebe und Geborgenheit im familiären Umfeld. Das ist ganz unabhängig von finanziellenMitteln! Dabei spielen die Förderung der Neugier und Interessen eine große Rolle, dass das Kind auch Kind sein kann und viel gemeinsame Zeit verbracht wird. Dr. Kerstin Kerschbaumsteiner Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin Ordination Linz und Marchtrenk G U T Z U Wissen Wie geht es Dir?“ Eine ganz einfache Frage, die einem so leicht über die Lippen kommt wie ein „Guten Tag“ im Kaffeehaus oder ein Händeschütteln zur Begrüßung. Vier unscheinbare Wörter, die aneinandergereiht eine Frage ergeben, die man eigentlich jedem stellen kann – zwischen Tür und Angel, dem Fahrer im Autobus, den Nachbarn am Gang oder der sympathischen Friseurin. Und doch steckt viel mehr dahinter. Denn obwohl wir die Frage mit einem kurz angebundenen „Danke, gut und Dir?“ meist nur oberflächlich behandeln, geht es uns doch nicht immer gut, oder? Reden hilft. Natürlich wird man nicht jedem, der sich nach unserem Befinden erkundet, seine Lebensgeschichte erzählen. Manchmal gibt es auch einfach keinen Rahmen dafür, um seine Gefühle wirklich auszudrücken. Meistens ist die Frage eine gesellschaftlich erlernte Höflichkeit, die aber wenig Raum dafür lässt, ganz offen zu sagen: „Es geht mir leider nicht gut, ich mache gerade eine sehr schwere Zeit durch.“ Das erfordert viel Mut. Und ein Gegenüber, das mit so einer Antwort auch umgehen kann. Wenn man also sein Gegenüber fragt, wie es ihm geht, sollte man auch bedenken, dass die Antwort eben auch anders ausfallen kann als das gewohnte „Gut“. Sich vertrauten Menschen gegenüber zu öffnen, wird oft als Hürde wahrgenommen, oft entsteht aber gerade, wenn man sich einander offen mitteilt, ein tiefergehender Austausch, denn Reden hilft. Verhalten umlernen. In den vergangenen Jahren, gerade auch veranlasst durch eine pandemiebedingte Distanz zwischen den Menschen, wurde deutlich, wie wichtig unser emotionales Wohlbefinden ist. Nicht nur unsere körperliche Gesundheit ermöglicht uns ein zufriedenes und erfülltes Leben. Eben auch unsere emotionale Gesundheit trägt maßgeblich zu einer guten Lebensqualität bei. Dazu zählen sowohl das Erkennen von Bedürfnissen undWünschen als auch ein Gefühl von Vertrauen, Sicherheit und Verständnis. Jeder Mensch wird bereits als ungeborenes Kind von seinemUmfeld beeinflusst. Kinder lernen von ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten, wie man sich im sozialen Umfeld verhält, sie schauen sich ihre Vorbilder genau an und lernen durch Erfahrungen. Wie Beziehungen vorgelebt werden, Gesprächs- und Streitkultur, das Zeigen von Liebe und Anerkennung, Lob oder Kritik – all das erlernen wir in unserer frühen Kindheit und geben es, ob wir wollen oder nicht, weiter. Oft erkennt man als Erwachsener, dass genau diese Strategien, die erlernt wurden, im erwachsenen Leben Schwierigkeiten bereiten. Dass wir mit unseren Kindern sprechen, wie es unsere Mutter mit uns früher getan hat und wir uns doch selbst so geschworen hatten, das niemals zu wiederholen! Oder man sich dabei erwischt, wie man den eigenen Partner manipuliert, obwohl man sich genau erinnert, wie schrecklich man das selbst findet, wenn man so eine Situation bei bekannten Paaren miterlebt. Diese Muster, die man sich über Jahre hinweg angeeignet hat und wiederholt, können reflektiert und aufgebrochen werden. Eine gute Hilfe dabei ist ein Psychologe. Der Seelenklempner, wie er früher abwertend bezeichnet wurde, wird heute als hilfreicher Begleiter in herausfordernden Zeiten anerkannt. Man muss längst nicht an der eigenen Belastungsgrenze angelangt sein, um Unterstützung zu erhalten! Ganz im Gegenteil, es beweist große Stärke und Selbsterkenntnis, zu bemerken, dass man buchstäblich ansteht und aktiv um Beistand bittet. ä Das Ziel einer Psycho- therapie ist es, seelisches Leiden zu heilen oder zu lindern, in Lebenskrisen zu unterstützen und belastende Verhaltensweisen und Ein- stellungen zu verändern. Eine professionelle Gesprächstherapie kann Menschen dabei helfen, nicht hilfreiche Muster aufzubrechen und neue Strategien zu erlernen, um für sich selbst gute und gesunde Entscheidungen zu treffen. Ein Therapeut bietet keine Lösungen, sondern begleitet eher den eigenen Weg und stärkt die Selbsterkenntnis.

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