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moments 3/2018

COVERSTORY

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FOTOS: ISTOCK/THINKSTOCK, VERLAG

FOTO: ISTOCK/THINKSTOCK

R

und 100 Mal im Jahr haben

Österreicher im Durchschnitt

Sex – also jeden dritten bis

vierten Tag. Über eine Zeitspanne

von zwei Jahrzehnten sexueller Akti-

vität kommen damit Pi mal Daumen

2.000 Stunden zusammen, die wir

mit der schönsten (Neben)Sache

der Welt verbringen. Man sollte also

meinen, wir sind Experten auf die-

sem Gebiet. Was den eigenen Kör-

per betrifft, wissen wir mittlerweile

recht genau, wo wir gerne angefasst

werden, was wir dabei empfinden

und was uns auf Touren bringt. Geht

es aber um unser Gegenüber – bei

Frauen meist der Mann – können wir

nur auf ehrliche und offene Rück-

meldungen hoffen. Das Problem

dabei: Man(n) spricht nicht gerne

darüber. Einer hat es jetzt allerdings

sehr ausführlich getan. Christian Sei-

del findet in seinem aktuellen Buch

„Ich komme“ erfrischend deutliche

Worte. Das freut vor allem Frauen:

Endlich ist da einer, der kein Blatt

vor den Mund nimmt, nicht herum-

druckst und die Sache beim Namen

nennt. Dem einstigen Medienmana-

ger, der auch als Agent für Größen

wie Claudia Schiffer tätig war, ist es

ein großes Anliegen, dass die männ-

liche Sexualität endlich thematisiert

wird. „Ich fand es plötzlich gerade-

zu grotesk, dass wir über Spaghetti,

Rotwein, Reiseziele und Flüchtlinge

stundenlang akribisch reden können,

nicht aber über die schönste Sache

der Welt. Die Pornografie überschüt-

tet uns mit einem Visualsturz, ohne

dass man männliche Gesichter sieht,

und in der #metoo-Debatte wird der

Kern des Problems nicht angespro-

chen. Der liegt nicht in der Filmbran-

che, nicht bei einzelnen übergriffigen

Produzenten oder Chefs. Wenn man

den wirklichen Problemstein näm-

lich hochhebt, dann ist das die pure

männliche Sexualität, von der die-

ser Unzustand ausgeht. Mit ihr ist

was im Argen. Und damit mit dem

gesamten Intimleben der Männer, zu

dem sie immer „passt schon“ sagen,

sich nicht frei, locker und auf ange-

nehme Weise, also ohne dreckige

Witze, drüber zu reden trauen, weil

das alles für sie so etwas unglaub-

lich Heimliches ist.“

Rein, raus und aus?

Packen wir also

das Problem an der Wurzel. Auch

Frauen sitzen aufgrund der fehlen-

den Kommunikation in puncto Sex

gerne Vorurteilen und Stereotypen

auf. Wir nehmen häufig an, dass

nur wir „kompliziert“ sind und das

Vorspiel auskosten wollen, bevor es

zur Sache geht. Dass nur wir mehr

brauchen, als einen kurzer Finger-

tipp an der Brustwarze oder lieblo-

ses Herumgefummele am Slip. Laut

Seidel neigen auch Frauen dazu,

sich zu sehr mit dem besten Stück

zu beschäftigen, statt den ganzen

Mann ins Visier zu nehmen: „Ich fin-

de es schade, dass sich viele Frau-

en daran nicht mehr ausleben und

mehr vom Mannkörper genießen,

als nur dieses ‚Teil‘, zu dem es kei-

nen gescheiten Namen gibt.“ Wenn

das besagte „Teil“ zur Höchstform

aufläuft, geht es um deutlich mehr,

als nur um ein kurzes, pulsierendes

Zucken. In seinem Buch musste sich

der Autor stark zusammennehmen,

um nicht eine ganze Enzyklopädie

über den männlichen Orgasmus zu

schreiben und findet eine überra-

schende Metapher. Für ihn fühlt sich

der Höhepunkt an „wie ein platzen-

des Ei. Da wächst ein sinnlich unwi-

derstehliches Gefühl heran, das sich

immer mehr aufbläht. Es beginnt

im Beckenboden, von dort brei-

tet es sich strahlenartig im gesam-

ten Körper aus, ich fühle das in der

Haut, an der Zunge, am Bauch, in

den Oberschenkeln. Der Vorgang ist

von einem ständigen leichten Wider-

stand begleitet, als würde irgendwas

in mir dieses sinnliche Wachstum

zurückhalten wollen. Dabei wer-

de ich immer willenloser und muss

mich dann wie ein Ei, dessen Scha-

le wegen zu heißem Wasser platzt,

der völligen Wehrlosigkeit ergeben.“

All das sind die Erfahrungen aus nur

einer Perspektive, ganz klar. Doch

wie sollen wir nun erfahren, was der

Mann, mit dem wir zur Sache gehen

wollen, empfindet und welche inti-

men Wünsche er hat? Und umge-

kehrt: Wie soll er wissen, was uns

in Fahrt bringt? Es führt kein Weg

daran vorbei: Wir müssen reden.

Ob groß, klein, dick oder

dünn: Hauptsache der

Mann weiß, wie er mit sei-

nem besten Stück umgeht.

Das gilt umgekehrt auch

für die Frau.

Christian Seidel

„Ich komme“

Heyne Verlag

13,40 Euro

Christian Seidel bricht das

Schweigen um das Mysterium

der männlichen Sexualität. Sein

autobiografisches Buch klärt

offen und ehrlich auf.

Buchtipp

Missverständnisse, die oft von falschen Annahmen

herrühren, führen auf Dauer zu Frust im Bett.

Wir können stundenlang

über Rotwein, Reiseziele und

Flüchtlinge reden, nicht aber

über die schönste Sache der Welt.

Christian Seidel,

Autor