moments 3/2018
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moments 3/2018
COVERSTORY
FOTOS: ISTOCK/THINKSTOCK, H.RICHTER
FOTOS: ISTOCK/THINKSTOCK, FLORIAN SEIDEL
Wo beginnt für Männer Sexualität?
Fragt man einen Mann: „Wo beginnt
Sexualität?“, sagt er „beim Penetrie-
ren“. Eine Frau sagt meist „beim
Kuss.“ Eigentlich beginnt sie noch
früher – beim Flirten, beim Augen-
kontakt. Die Gleichsetzung von Sexu-
alität mit Geschlechtsverkehr ist ein
typisch männliches Thema. Männer
hängen noch immer der alttestamen-
tarischen Vorstellung nach, in der es
bei Sex nur um Fortpflanzung geht.
In Wahrheit nutzen nur vier Prozent
der Paare den Geschlechtsverkehr,
um ein Kind zu zeugen. Unsere Judi-
katur hat erst kürzlich im Rahmen
der #metoo-Bewegung bewiesen,
dass sie moderner denkt. Man kann
schließlich eine Frau sexuell belästi-
gen, auch wenn man sie nicht mal
berührt hat. Sexualität ist nicht nur
ein Fortpflanzungsszenario, sondern
soziale, interaktive Kommunikation.
Sie ist sogar die wichtigste, weil lei-
denschaftlichste und intimste Form
der Kommunikation zweier sich lie-
bender Menschen.
Warum ist Sexualität so wichtig für
uns und unsere Partnerschaften?
Eine glückliche Beziehung basiert
auf glücklicher, zufriedener Sexua-
lität. Nicht zwingend befriedigen-
der, denn das würde den Orgasmus
erfordern, zu dem manche Frau-
en körperlich gar nicht fähig sind,
sondern zufriedener Sexualität. Und
eine glückliche Beziehung wieder-
um ist Grundvoraussetzung für das
Lebensglück. Somit sprechen wir
hier von etwas sehr Wichtigem.
Unsere Gesellschaft ist aber prüder,
als man denkt. Selbst zu Zeiten der
katholischen Gesetzgebung hat man
wenigstens noch Wasser gepredigt
und Wein getrunken. Heute predigen
wir Wasser und trinken Wasser. Wir
befinden uns quasi in einem Zeitalter
der Prohibition. In der Öffentlichkeit
sollen wir gar nicht mehr als sexuel-
les Wesen auftreten. Das Paradigma
ist aber: Wir sind immer und zu jeder
Zeit ein sexuelles Wesen – von der
Wiege bis zur Bahre. Das zu trennen
ist unmöglich.
Wieso fällt es uns so schwer, über
Sex zu sprechen?
Frauen können immerhin noch bes-
ser über ihre Sexualität sprechen als
Männer, Männern fällt das deutlich
schwerer. Ich empfehle: Über intime
Wünsche sollte man reden wie über
eine Speisekarte. Nach dem Motto:
„Ich hätt‘s heut gern so.“ Essen und
Sexualität sind sich ohnehin sehr
ähnlich, beides hat eine sinnliche
und soziale Komponente. Während
es im Restaurant aber ganz normal
ist, nach der Speisekarte zu fragen
und auszuwählen, wird im Bett nur
das Standardprogramm abgespielt
– und nicht darüber geredet. Kom-
munikationsdefizite über geheime
Wünsche können innerhalb der Part-
nerschaft durch Reden ausgemerzt
werden, aber wirkliche sexuelle Pro-
bleme sind in der Beziehung nicht
therapierbar. Man kann nicht Thera-
peut und Liebhaber in einer Person
sein. Dafür sollte man schon einen
Fachmann oder eine Fachfrau auf-
suchen.
●
Interview
Dr. Georg Pfau,
Sexualmediziner aus Linz
Let‘s talk about sex.
Leichter
gesagt, als getan. Trotz all der ver-
meintlichen Aufgeklärtheit sind die
eigenen Sehnsüchte meist ein Tabu,
die man oft nicht mal dem Tage-
buch anvertraut, ohne rote Wan-
gen zu bekommen. Was ist, wenn
es sich um Wünsche handelt, die
nicht gerade der Norm entsprechen?
Wie reagiert der Mann auf Fantasien,
die mehr Protagonisten als ihn selbst
einschließen? Versuch macht klug.
Christian Seidel rät: „Einfach damit
anfangen. Ich habe die Erfahrung
gemacht, dass man dabei weder
einen Schlaganfall bekommt oder
sonstwie umkommt, noch ermor-
det oder gelyncht wird. Im Gegen-
teil habe ich erlebt, dass sich da
sehr schöne Gespräche entfalten las-
sen. Man muss nur Mut zu Detail
und Ehrlichkeit haben. Das Wich-
tigste ist eine ruhige und authenti-
sche Form von Aufrichtigkeit sowie
dass man nicht nur spricht, sondern
auch zuhört. Vorher am besten ent-
spannt ein- und ausatmen. Wenn
man sich verkrampft, frustriert fühlt,
Angst vor einer Verletzung hat oder
umgekehrt, besonders begierig auf
so ein Gespräch ist, so sollte genau
das auch vorsichtig formuliert wer-
den, damit der andere einen dar-
in verstehen kann. Und dann ganz
authentisch von sich selbst erzäh-
len, Pausen machen, den anderen
wahrnehmen, auch mal etwas fra-
gen und schließlich das Thema nicht
überstrapazieren, sondern, wie beim
Essen, nach dem Kochen auch etwas
zu sich nehmen.“
Entspannen wir uns.
Über alles soll-
ten wir auch laut Seidel nicht reden.
Wenn wir den anderen oder uns
selbst damit verletzen, bringt uns
das im Liebsglück nicht weiter – und
verhilft uns bestimmt nicht zur sexu-
ellen Extase. Mehr Offenheit wür-
de uns aber guttun. Vergessen wir
doch das Schamgefühl und lassen
wir dann und wann die Hosen runter.
„Der Penis wird oft viel zu halbgar
und zu phantasielos angefasst.
Vielleicht hilft es, wenn man
ihn sich wie ein kleines
Haustier vorstellt, ein
Kätzchen zum Beispiel.
Das zieht sich auch
zurück, wenn es unun-
terbrochen an der glei-
chen Stelle auf die glei-
che Weise gestreichelt
wird. Der Mann hat ja auch
einen Restkörper, der beim Sex
übersensibilisiert wird.“
Christian Seidel,
Autor
Zufriedene Sexualität ist
das Herzstück einer glück-
lichen Beziehung.
Strittiges Thema: Pornografie ersetzt für viele Männer (und Frauen) die Zweisamkeit.